29.03.2023 campus-leben, veranstaltungen

Seid Vorsichtig mit unserer Geschichte

Aron Boks über Risse in der Geschichte und das Leben seines Urgroßonkels Willi Sitte

Am 29.03.2023 besuchte der Autor Aron Boks, zusammen mit Eva Singer aus der Vertriebsabteilung und Nanette Elke, Programmleiterin des Sachbuchbereichs von HarperCollins, den mediacampus frankfurt. Im Gepäck? «Nackt in die DDR». In seinem neuen Buch, erschienen am 21. Februar 2023 im HarperCollins Verlag, beleuchtet der Autor das Leben eines der wohl bekanntesten Künstler Ost-Deutschlands, Willi Sitte, und damit auch seine eigene Familiengeschichte.

Mit einem von Boks selbst angefertigtem Audiotrailer, zusammengeschnitten aus verschiedensten O-Ton Aufnahmen über und von Willi Sitte, gemischt mit aktuellen Aussagen seiner Familienmitglieder, beginnt die Reise in den Harz. Genauer: Den Ort an dem das «angebliche» Werk von Künstler und Onkel Willi Sitte, gefunden wurde, welches die Recherche zu diesem Buch beflügelt hat. (Verifizieren kann man das Werk als solches nicht, da die Unterschrift des damals neunzehnjährigen Willis kurzerhand abgeschnitten wurde, damit es in den Bilderrahmen passt).

Nach dem Besuch bei Lieschen, seiner Großtante, bat diese Boks darum, «vorsichtig mit unserer Geschichte umzugehen».

Dieser Grundsatz spiegelte sich auch während der Veranstaltung im Publikum wider, da sich durch die anwesenden Personen hinweg viele unterschiedliche Auffassungen zur DDR bemerkbar machten. Vor allem der Aspekt der politischen Ausrichtung war dem Autor wichtig, da er die Meinung vertritt, dass die junge Generation die Aufarbeitung der einstigen Trennung und Wiedervereinigung Deutschlands aufnehmen und fortführen sollte. Boks war es dennoch wichtig, in sein Buch weder in Bezug auf den Charakter seines Urgroßonkels, noch auf dessen Politik eine Wertung einfließen zu lassen.

Obwohl dies ja so einfach wäre. Willi Sitte war starker Unterstützer des «Sozialismus» der DDR und seit ihrer Entstehung aktiv politisch engagiert. Von 1986 bis 1989 war er Mitglied des Zentralkomitees der SED und mit seiner Kunst als Staatsmaler bekannt.

Meist zeigten seine Gemälde leicht bis gar nicht bekleidete Menschen, dies führte auch zur Namensgebung des Buches. Laut Sitte selbst versinnbildlichen diese Figuren menschliche Solidarität und richten sich gegen Imperialismus und Faschismus. Dennoch war Sitte als Stasi-Informant tätig und somit aus heutiger Sicht eigentlich ganz klar der Bösewicht. Doch was genau ist die «heutige Sicht»? Noch genauer, was ist die Auffassung der ersten Generation, zu der auch der 1997 geborene Aron Boks gehört, die keine direkten Berührungspunkte mit der DDR oder der Wende gemacht hat? Ist es wirklich so einfach, BRD und DDR in Gut und Böse einzuteilen, obwohl vielen jungen Leuten Sichtpunkte aus erster Hand auf das damalige Geschehen fehlen?

In der sehr angeregten Fragerunde nach der Lesung, in welcher Boks sich als sehr diskussionsfreudige Person zeigt, die durchaus weiß wie man sensiblen Themen auf den Zahn fühlt, wurde eben dies thematisiert. Unter anderem, dass gerade in den politisch westlichen Teilen Deutschlands kaum über die Zeit der Teilung gesprochen wird, weder in der Schule noch in privaten Kreisen. Gerade mal zwei Unterrichtsstunden über die DDR, «als wäre es ein Land auf der anderen Seite der Welt und nicht die direkten Nachbarn», so Boks.

Doch auch im Osten wird vieles von der älteren Generation nur mit einem Schulterzucken kommentiert, «So war das damals eben». Auch dies ist ein Grund, warum Boks in seiner Recherche den eigenen Familienmitgliedern teilweise mit Nachdruck auf den Zahn fühlen musste. Etwas, was jeder von uns vielleicht tun sollte, auch wenn daraus kein Buch entsteht. Schließlich sind «Wessi» und «Ossi» auch heute noch gängige Begriffe in jeder Generation. Die Wende hat bei weitem nicht die kulturellen Differenzen gleich gemacht oder die Generationstraumata der DDR geheilt, was einen Austausch zwischen jungen Menschen beider Fronten umso wichtiger macht. Sich der Vergangenheit annehmen, zu schauen, «was die ganze Geschichte mit mir zu tun hat», ist eine wichtige Aufgabe der Post-Wende-Generation. Also seid bloß vorsichtig mit unserer Geschichte.

Aron Boks, welcher nicht nur erfolgreicher Poetry-Slammer sondern auch Träger des Klopstock-​Preises ist, zählt Malerei allerdings nicht zu seinen vielen Talenten. Zwar hat er sich im Malen mit Wein auf Leinwänden versucht, jedoch empfand er dies als nicht sonderlich gut gelungen.

Wir möchten Aron Boks, Eva Singer, Nanette Elke und dem HarperCollins Verlag für ihre Mühen und die guten Konversationen danken, es war uns eine Freude. Vielen Dank auch an Herrn Riverein, wir freuen uns, dass wir diese erste Abendveranstaltung in Präsenz nach Corona mit Ihnen teilen durften.

Isabel Thoma, Dominik Nathanael Harrer & Charlotte Jung, 227. Block 

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