Am 16.05.2024 fand die dritte Veranstaltung und erste Lesung im 233. Block des Mediacampus statt. Zu Gast war ein Duo aus Lektorin und eine Autorin. Magdalena Schrefel lebt in Wien, lektoriert nicht nur, sondern ist selbst auch Autorin und wurde zuletzt mit dem Robert-Walser-Preis für ihren Erzählband «Brauchbare Menschen» ausgezeichnet. Nora Schramm studierte in Gießen Kulturwissenschaften und in ihrer heutigen Heimatstadt Köln Theorien und Praktiken professionellen Schreibens. Nach mehreren Stipendien und der Auszeichnung mit dem Preis des Textstreich-Wettbewerbs für neue Lyrik veröffentlichte sie im März diesen Jahres ihren Debütroman «Hohle Räume» im Verlag Matthes & Seitz Berlin. Knapp 50 Anwesende versammelten sich um 19 Uhr in der Piper-Lounge und sorgten dabei glücklicherweise für einen alles andere als hohlen, nämlich einen von Interesse und Erwartung erfüllten Raum.
Einleitend zeichnete Magdalena Schrefel den in Berlin ansässigen Verlages vor, der sein Programm «im Niemandsland zwischen Wissenschaft und Kunst» verortet. So stellte sie zwei Sachbuchreihen vor: «Fröhliche Wissenschaft», in der Essays zu zeitgenössischen Themen erscheinen und «Naturkunden», die sich an der Schnittstelle zwischen naturwissenschaftlicher Betrachtung und persönlichem Erfahrungsbericht bewegen. Darüber hinaus bietet der Verlag auch ein breites belletristisches Programm, so wie viele Übersetzungen, insbesondere aus dem Französischen zunehmend aber auch aus dem asiatischen Raum. 2004 von nur einer Person gegründet publiziert das mittlerweile 12-köpfige Team heute – kurz vor dem 20. Jubiläum – ein vielseitiges und spannendes Angebot mit etwa 120 Neuerscheinungen pro Jahr.
Da dieser Abend ganz der schriftstellerischen Tätigkeit und dem Wechselspiel zwischen Autorin
und Lektorin gewidmet werden sollte, hielt Magdalena Schrefel die Einführung relativ kurz und
bereitete dann ihrer Kollegin das Feld, indem sie die Frage stellte, was sie als Autorin eigentlich
gereizt habe, sich die scheinbar so ausgeschriebene Konstellation von Mutter-Vater-Kind
vorzunehmen. Nora Schramm benannte den Grund für diese Entscheidung in der verblüffenden
Erkenntnis, dass gerade das Bekannte und Alltägliche häufig am schwersten zu beschreiben ist. Es
sei «viel Stille im Normalen», in die es hinein zu horchen gelte, um «das Normale fassbar» zu
machen. So beschrieb sie pointiert ein zentrales Anliegen ihres Romans, aus dem sie anschließend
die ersten Seiten vorlas, um uns mit der Stimme der Ich-Erzählerin Helene bekannt zu machen. Die
35-jährige Künstlerin Helene fühlt sich verpflichtet, ihren in der Scheidung und Aufteilung des
Haushalts befindlichen Eltern zu helfen. Sie reist daher, eher widerwillig, von Berlin in das fiktive
Örtchen Findelheim nahe Stuttgart. Schon die ersten Beschreibungen des Elternpaares, die nur «der
Vater» und «die Mutter» genannt werden, machen deutlich, dass diese Trennung nicht die
Zerstörung einer heilen, bürgerlichen Welt bedeutet, sondern lediglich das Hervortreten einer schon
lange auf engstem Raum gewachsenen Entfremdung zwischen Vater, Mutter und Kind.
Im anschließenden Gespräch gab Nora Schramm Einblicke in ihr Schreiben und erklärte, es habe
seinen Anfang eben bei dieser Stimme der Erzählerin genommen. Also bei den sprachlichen und
weltanschaulichen Eigenheiten dieser Figur, aus denen heraus sich der Text ergebe. Für sie stünden
daher nicht ausgeklügelte Charaktere am Anfang des Schreibens: Im Gegenteil würden ihre im
Vorhinein gefassten Ideen häufig vom Text verworfen. Beispielsweise sollte die Vaterfigur
eigentlich Arzt sein, beim Schreiben habe sich jedoch herausgestellt, dass dieser vielleicht mal Arzt
gewesen war, allerdings die Körper seiner Patient:innen nicht ertrug und deshalb nun für ein
Pharmaunternehmen arbeitet. So veranschaulichte die Autorin, wie sie sich vom Text leiten lässt.
Ergebnis dieses Schreibflusses war schließlich ein langes Word-Dokument ohne Absätze, an dem
dann die Arbeit der Lektorin beginnt. Magdalena Schrefel fand die schöne Formulierung, sie sei, in
ihrer Funktion als Lektorin, ein «durchlässiges Gefäß mit stabiler Rückwand». Müsse also offen
sein für die Eigenheiten und Qualitäten des Manuskripts, um diese erhalten und hervorheben zu
können und gleichzeitig auf Struktur und Kontinuität zu achten. So fiel ihr beispielsweise auf, dass die
angegebenen Wochentage sich nicht mit den in der Geschichte auftauchenden Fernsehsendungen
deckten. Natürlich erschöpft sich ihre Arbeit als Lektorin, die wie deutlich wurde, ein enges
Vertrauensverhältnis ist, nicht in solchen einfachen Korrekturen, sondern in der umfassenden
Begleitung der Autorin in literarischer und auch zwischenmenschlicher Hinsicht.
An dieser Stelle eine klare Empfehlung meinerseits, sich ein Exemplar dieses unverschämt
feinfühligen Debütromans zu sichern, der prall gefüllt ist, mit Onelinern von aphoristischer
Klarheit.
Vielen Dank für die in großzügiger Zahl vorhandenen Leseexemplare an Matthes & Seitz Berlin
und herzlichen Dank an Magdalena Schrefel und Nora Schramm für die interessanten Einblicke in
ihre Arbeit!
Anton Bohde, 233. Block